Das Abiballkleid und ich


Meine Tochter hat ihr Abitur bestanden. 13 Jahre auf dem Hintern sitzen und sich merken, was vorne gesprochen wird, sind Geschichte. Blöde Mitschüler, blöde Lehrer, nette Lehrer, beste Freunde, Ausflüge, Schulreisen, vergeigte Mathearbeiten, entsetzliche Exkursionen, verlorene Lateinbücher, Referate (ich habe zahllose geschrieben ...), Zitterpartien in Chemie, Tränen der Enttäuschung, Bundesjugendspiele, meine einsamen Momente, wenn mein Kind unglücklich und ratlos war ... vorbei.

Aber all das ist ein Flüstern im Wind, ein Hauch in der Ära des Lebens, gegen das Problem "wie soll mein Kleid für den Abiball aussehen?" Ich bin um Jahre gealtert, müde, gebrochen, ausgelaugt, ohne Illusionen ...

Wir denken und probieren und verwerfen und bestellen und schicken zurück und denken und ziehen an und ziehen aus und finden nichts. Nude ist in. Nude? sag ich. Willste nackt gehen, Kind? Nein, Mama, sagt sie, nude wäre die Farbe vom Kleid. Wie sieht nude aus, frage ich. Wie nackt, sagt sie und grinst. Ja, dumm ist sie nicht, meine Tochter. Ich hatte die Rettung gegen nude. Nude macht blass. Blass geht garnicht. Also das Aus für nude. Dann soll es eben was Knalliges sein. Floral. Viele Blumen in Pastell. Kein Neckholder, denn frau will push up tragen. Und unter Neckholder geht das nicht.
Wir finden ein Kleid mit vielen großen Blumen, die aussehen wie mit Wasserfarben gemalt. Das bestellen wir. Weil es so unfassbar schön ist. Bezahlen, bestellen, warten ... endlich kommt das florale Wunder. Und es sieht gruselig aus am Abiturientenkörper. Huch, sagt mein Sohn, willste auf eine after life Party in dem Frack? Das war zuviel. DAS Kleid wollen wir nicht!

Floral wird also neben nude beerdigt. Zurück zu den Wurzeln - den knalligen. Das nächste Kleid wird magenta und muss auch bestellt werden. Weil es nirgendwo Kleider in Größe 32 gibt, die nicht aussehen, als wolle man im horizontalen Gewerbe Karriere machen, an einem Kindergartenfest teilnehmen oder im Partnerlook mit Oma Else gehen.
Magenta wird bezahlt und geliefert. Und hängt am Kinde wie ein Sack. Egal, wie wir es betrachten, es hängt. Oh, ein Mu'umu'u, sagt der Sohn, im Vorbeigehen. Isses ein Mottoball? Klassisches Hawai oder so? Haste auch 'ne Ukulele?

Ich tüte das Gewand ein und sende es zurück. Meine Hände zittern, meine Augen sind voller Tränen. Die Abiturientin ist mit einer Freundin in Düsseldorf, Kleider angucken. Wobei sie schon vorher wusste, dass sie sowieso nix findet. Das weiss sie! Na ja, ich auch.
Den Sohn habe ich aber präventiv so zusammengestaucht, dass er schwört, einem Schweigeorden beizutreten und künftig den Kopf geneigt und die Hände gefaltet zu halten.

Düsseldorf war eine weitere Niederlage. Wir warten jetzt auf ein türkisfarbenes Kleid, das nur über einer Schulter einen Träger hat und einen breiten Gürtel, der glitzert. Es kommt sicher in den nächsten Tagen ... es gilt: dum spiro, spero.
(Solange ich atme, hoffe ich.)

1 Kommentar:

  1. ...deine worte sind herrlich....gott was freue ich mich auf diese kleidtortur....in ca 5 jahren...seufz

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