Faltenwurf und Blitzlicht


Heute hatten wir so schön viel Zeit, und ich wusste, was kommen würde. Und es kam.

Meine Tochter schleppt nach dem Spätstück (jenseits der 11 Uhr Grenze sprechen wir hier nicht mehr von Frühstück) ihren tonnenschweren Sack mit Schminkutensilien an und sagt nur zwei Worte "Mama, Fotos!"
Oh mein Gott, ich hasse das. Weil ich gefühlte acht Milliarden Fotos von mir kenne, die ich allesamt verbrennen möchte, mitsamt dem jeweiligen Fotografen!
Und wenn dann noch so ein lustiger Mensch in mein persönliches Krisengebiet stapft und was von "Man kann nur fotografieren, was auch da ist" faselt - dann drehe ich total ab!
Ich schwöre, ich schwöre auf was auch immer, das stimmt nicht! Von mir existieren Fotos, so habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht eine Sekunde lang ausgesehen. Denn, wenn es so wäre, hat man mich längst eingefangen, eingeschläfert, präpariert und ausgestellt. Und? Ich lebe noch! Womit bewiesen wäre, dass man durchaus Dinge ablichten kann, die in der realen Welt nicht vorhanden sind.
Lückenlose Beweisführung nennt man das!
Ich bin ja nicht blöd!
Es gibt nur einen Flaschengeist, der dafür sorgt, dass Fotos von mir generell optische Entgleisungen von höchster Komplexität sind.

Aber, ist schon ok, das Kind will neue Bilder von sich. Das geht schnell und einfach. Zwanzig Fotos, zwanzig Treffer. Sie sieht immer gut aus. Was schreibe ich - gut? Wunderschön, originell, von nichts zuviel, von nichts zu wenig. Sie legt sich eine Serviette auf den Kopf und lacht charmant. Und man hat, schwupps, ein geniales Bild von einer unglaublich schönen Frau mit originellem Kopfputz. Ich sehe mit derselben Serviette aus, als hätte ich Freigang aus der Psychatrie. Aber nur ganz kurzen Freigang, direkter Weg zum Präparator.

Nun bin ich praktizierendes Muttertier und deswegen in erster Linie saumäßig stolz auf meine Kinder. Deswegen liebe ich es, meine Tochter zu fotografieren. Das könnte ich stundenlang und voller heisser Begeisterung.
Aber leider will das Kind dann auch mal. Und damit beginnt meine Odysee durch das Tal der Tränen. Klick, klick, klick, klick. Ich stehe wie erstarrt und weiss, ich gucke wie eine Vollidiotin mit drei Kinnen und Gesichtsplissee ... schauderhaft. Und sogar mein Kind, das mich liebt, zuckt zusammen, wenn sie auf das display guckt und löscht ganz schnell, was sie da sieht. "Verwackelt, Mama, total verwackelt", nuschelt sie und lächelt zwanghaft. "Lass uns aufhören", bettele ich verzweifelt. Aber sie ist nicht mehr zu bremsen, das weiss ich schon. "Das kriegen wir hin", sagt sie tapfer und wieder klickt es viele, viele, unendlich viele Male. Manchmal lacht sie laut, lässt mich gucken. Oh, den missgestalteten Alien in Jeans und mit dem gestörten Gesichtsausdruck hatte ich im Garten garnicht bemerkt. "Kannst eins der Bilder ja einiges kleiner machen und schwarzweiss oder so", sagt meine Tochter. Wie klein? Briefmarkengröße?

Irgendwann, nach vielen tausend Seufzern, ist dann ein Foto dabei, das wir nehmen. Also eines, das wir nicht direkt schweigend löschen. Erleichterung in beiden Gesichtern. "Da siehst du richtig gut aus, Mama", sagt mein liebes Kind und reicht mir die Kamera voller Stolz. Ich sehe auf dem Bild genauso dämlich aus wie auf allen anderen und schielen tue ich auch. Ich nicke und reisse die Kamera an mich.

Das Foto lösch ich nachher, wenn ich alleine bin ...


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