Gesichtsbuch


Ich bin bei Facebook. 
Weil ich mit der Zeit gehe und, vor allem, weil meine Freunde sich über den halben Erdball verteilt haben. Von New Orleans bis München, von Köln bis Dresden, von Brüssel über Amsterdam und London bis New York ... und da ist Facebook optimal, hat meine Freundin aus New York mir erklärt. Und dass wir nicht Omma sind und das jetzt voll cool angehen und chatten ohne Ende.

Ich habe mich also angemeldet, ging auch ganz prima. Total easy eben. Nur habe ich dann erstmal nicht verstanden, was was ist und warum auf meiner FB-Seite Dinge von Leuten stehen, die ich noch nie in meinem Leben bewusst wahrgenommen habe. Das fand ich merkwürdig. Aber wozu hat frau Kinder? Nicht wahr? "Pass auf, Mama, ich erklär dir das jetzt nochmal", hat meine Tochter gesagt, hat Facebook aufgerufen und mit die Sache mit der Startseite und meiner eigenen Seite und den Nachrichten und dem Anstupsen und dem auf die Pinnwand posten und den Freundschaftsanfragen von Fremden erklärt. 
Ja, find ich alles prima – kapiert habe ich es allerdings nicht so wirklich. Meine Freundin aus New York hat sowieso schon das Handtuch geworfen und mir eine veraltete eMail geschrieben.
Eine andere Freundin schickt mir dann eine Nachricht. Die irgendwie zeitgleich an zwei Stellen auftaucht. „Weil du ja online bist“, sagt meine Tochter. Dann erscheint die Nachricht nämlich in der Chatleiste.“ Aber du kannst dich auch unsichtbar machen, dann ist dieselbe Nachricht eine Nachricht." - auf die ich genauso antworten kann, als wäre es ein Chat. Nur ist es eben, wenn ich unsichtbar bin, eine Nachricht und kein Chat. Ja.

„Warum sollte ich unsichtbar sein, wenn ich doch da bin?“ frage ich. Meine Tochter seufzt. „Weil du vielleicht nicht mit allen chatten möchtest, sondern nur mit einem oder zwei Leuten.“ „Schreiben mir denn die, die ich nicht kenne, auch?“ frage ich. Wieder verdreht sie die Augen. „Wenn du sie als Freunde annimmst, ja“, antwortet sie, „andere sehen deine Seite nicht.“
Sehen meine Seite nicht? Ist sie denn unsichtbar, so wie ich? „Man sieht deine Seite nur, wenn man mit dir befreundet ist. Das habe ich so eingestellt“, bemüht sich das Kind. Man sieht mich nur, wenn man mit mir befreundet ist? Aber wie kann man mit mir befreundet werden, wenn man mich nicht sieht? „Mama!“ kommt es drohend. Ich sehe schon, es ziehen Gewitterwolken auf. „Ein bisschen was sieht man, dass du hier bei Facebook bist, zum Beispiel!“ Ach so, ja dann. Dann ist alles klar. Aber ich bin doch unsichtbar. Oder jetzt doch nicht?

Manche Fragen lassen mir keine Ruhe.
Wenn ich was poste, das sieht jeder? Und wohin poste ich das denn? Auf meine unsichtbare Seite? Warum poste ich denn, wenn es niemand sieht? Ach, auf der Pinnwand sieht es jeder? Jeder kann mir da auch was hinschreiben? Und wenn ich das da garnicht haben will?
Wann ist es denn auf meiner Pinnwand und wann nicht? Aber meine Nachrichten kann doch nicht jeder lesen, oder? Das wäre ja total peinlich!

Irgendwann habe ich dann aber doch alles irgendwie verinnerlicht. Und aufgeatmet. Sichtbar aufgeatmet. „Und nun, Mama“, sagt meine liebe Tochter, „nun kommt die Timeline, und da sieht alles wieder ganz anders aus! Aber das schaffst du schon!“


Ich geh dann jetzt telefonieren … 



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