Dramaqueen


Ich bin krank. Es geht mit mir zu Ende. Weil ich es nämlich nicht leiden kann, wenn ich krank bin. Krank sein bringt meine düstersten Charakterzüge umgehend zum vollsten Erblühen.

Da liege ich, quasi in meinem eigenen Blut und sehe schon das gleissend helle Licht, in das ich gehen soll.
Eine Stimme ruft mich, die meiner Tochter. "38,2"; sagt das Kind ungerührt, "das ist fast nix!" Mühsam öffne ich die Augen und schaue sie noch einmal an. Meine Erstgeborene, Freude meiner letzten Minuten. "Wo ist dein Bruder?" hauche ich. "Hä?" kommt die Antwort, "wieso? Beim Training!" Ich nicke ergeben. Das ist gut, wenn der Junge trainiert. Dann kann er am Sarg mit anfassen.

Meine Beste kommt zu Besuch. Mit Sina. Ihrer kleinen Tochter. Sina ist zwei und weiss noch nichts von den unsagbaren Beschwernissen des Lebens. Und auch nicht, dass ich ein bisher unentdecktes Weltraumvirus in mir trage, das mich täglich dem Tode näher bringt. Sina klettert zu mir ins Bett und will gemütlich Winnie Puh gucken. Mit tränenden Augen und versagender Stimme berichte ich der Besten vom Krankheitsverlauf. "Mein Gott, bist du bekloppt" sagt sie. Ich sinke in die Kissen. Mit der fahre ich nie wieder ins Esprit outlet. Nein, niemals wieder. 
Bald wird sie tränenreich Blumen auf mich pflanzen, sicher welche, die ich nicht leiden kann. Dabei wollte ich verbrannt und auf dem Meer verteilt werden. Aber das haben sie sowieso vergessen, wie sie mich vergessen haben ... allesamt.

Ich muss seit mindestens zwei Jahren das Bett hüten. Allein, abgemagert, zu matt zum schreien, fern der Heimat ... ich seufze und blicke mich um. Mein Sohn liegt neben mir im Bett, tief schlafend, iPod auf dem Bauch. Meine Raumschiff  Voyager DVD läuft noch. Seven of Nine, Neelix und Captain Janeway sind auch noch nicht zuhause.
Ich muss husten. Klingt nicht gut. Wahrscheinlich ein besonders schlimmer, neuer Virus. Ich huste zur Sicherheit nochmal. Eindeutig, so ein Scheppern in der Lunge. Ich stupse meinen Sohn an, der sich grunzend auf die Seite dreht und ein halbes Auge öffnet. Ich muss nichts sagen. "Egal, was es ist", murmelt er, "stirbste nich dran!" Ich schlage ihm mit der flachen Hand auf den Kopf. Brummend stützt er sich auf seine Arme und blickt mich an. "Mama, du weisst, man schlägt seine Kinder nicht", knurrt er. Wie könnte ich das Kind schlagen, wo ich zu schwach zum atmen bin? "Ich war das nicht", flüstere ich mit letzter Kraft. "Warst du doch, Alte", grunzt er und fängt an, mich zu kitzeln.

Ich bin wieder gesund. Und alle haben es gewusst ... nur ich nicht!


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